Canelli, das "Tor zur Welt"

Canelli, das "Tor zur Welt"

Städtische Routen

Canelli, das "Tor zur Welt"

„...das Herrenhaus des Nido, rot inmitten seiner Platanen, zeichnet sich am äußersten Hang des Hügels ab... und zeigt Canelli an, von dem aus sich für den, der die Kühnheit besitzt, das Tor zur Welt öffnet...“

Cesare Pavese - (Aus “La luna e i falò” - Der Mond und die Feuer)

Für Cesare Pavese stellte Canelli eine Grenze dar, eine Öffnung zu einer fernen Welt, jenseits des Tals des Belbo, zwischen der Langa von Alba und der von Asti. Die Hügel verschmelzen hier zu tausend verschiedenen Ansichten. Auf einem Flecken Erde vermischen sich das dunkle Grün der Esskastanienbäume und der Eichen mit den tief in den blauen Tuffstein gegrabenen Schluchten der urzeitlichen Bergbäche, den sanften Hügelkuppen, den geometrisch geordneten Rebzeilen, die die Großväter den steilsten Hängen abgerungen haben, und der roten, kompakten Tonerde, die sich besser zum Ziegelbrennen eignet als zur mühseligen Landwirtschaft.

 MG 6612 Canelli Sito
001 Langhe Canelli Marcobadiani Sito
Canelli ist ein Kreuzungspunkt der Geschichte, im ständigen Kontrast zwischen traditionellen Gewohnheiten und der Suche nach Modernität. Es war kein Zufall, dass Carlo Gancia im Jahr 1850 gerade hier die méthode champenoise an den Muskatellerwein anpasste. So schuf er den ersten italienischen Spumante und läutete den Beginn der technologischen Revolution der Flaschengärung ein.

Vergangenheit und Gegenwart halten sich zwischen alten Spuren und modernen Konstruktionen also stets die Waage. In der Geschichte kommen hier archaische Völker vor: Kelten, Ligurer, Römer, Sarazenen, Langobarden, Spanier, Franzosen. Alle zogen durch dies Tal, wo vielleicht schon vor 2000 Jahren Muskateller angebaut wurde (die Rebsorte nennt sich hier Moscato Bianco di Canelli). Wenn man durch die alten Straßen bummelt, findet man Erinnerungen und unerwartete Eindrücke. Manchmal ist es eine Pflugschar, die Einblicke in die Geschichte eröffnet, man entdeckt Tontöpfe und Geschirr, behauene Steine und antike Gräber, wie die römischen Grabstelen und Gedenktafeln, aus denen heute eine kleine, spannende Sammlung von Steinmetzarbeiten in der Kirche von San Rocco besteht.

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San Damiano, una scacchiera sul Borbore

San Damiano d’Asti, ein Schachbrett am Borbore

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Römischen Ursprungs ist auch das Taufbecken der Pfarrkirche San Tommaso aus dem 17. Jahrhundert, die auf einer ehemaligen Kultstätte genau am Fuß des Hügels errichtet wurde. Sie lohnt einen Besuch aufgrund ihrer unzähligen Kunstschätze. 

Der historische Teil, der kurioserweise „Villanuova (Neustadt)“ heißt, klammert sich an die Sternìa, die steile Kieselsteinpflasterstraße, die von unten hinauf bis zum Schloss führt. Über sie bummelt man ohne Eile und genießt das weit entfernte Panorama.

Die Tour startet von der zentralen Piazza Camillo Benso di Cavour, die vor der Altstadt liegt, die von einem Band aus Straßen begrenzt wird, die am Fuß des Hügels verlaufen. Wir nehmen die Via XX Settembre zur gemütlichen Piazza Amedeo d’Aosta, wo das Casa Scarazzini (schon im Mittelalter Sitz der Gemeinde und der Gerichte, wiederaufgebaut im 17. Jahrhundert) die Via G.B. Giuliani (an der zwei der vier Unterirdischen Kathedralen des Spumante liegen) von der Via Rosmini trennt, der wir folgen und über die Piazza Gioberti und die Via Garibaldi zum Anfang der Sternìa kommen, vor der bereits erwähnten Kirche San Tommaso. An der Ecke Piazza Gioberti/Via Garibaldi steht das bedeutende, wenn auch vom Zahn der Zeit geprägte Barockportal des Casa Cornaro

Der kleine Vorplatz der Kirche San Tommaso ist malerisch und bildet zusammen mit der barocken, ehemaligen Bruderschaftskirche der Annunziata (heute ein orthodoxer Tempel) die Kulisse für den Aufstieg über die steile Pflasterstraße Via Villanuova, die sich mit engen Kehren durch das alte Viertel schlängelt, vorbei an terrassierten Gemüsegärten, Trockenmauern und Steinhäusern.

Heute nennt man sie aus einer glücklichen Intuition die „Via degli Innamorati (Straße der Verliebten)“, eine Verbindung der klassischen Verliebten des französischen Illustrators Peynet (neu interpretiert von verschiedenen Künstlern aus dem Astigiano) mit den romantischen Eindrücken dieses schmucken Viertels, der wahren Seele der Altstadt. 

Wir steigen Kehre um Kehre hinauf und erreichen beinahe ganz oben auf dem Hügel die Piazza San Leonardo mit ihrer atemberaubenden Aussichtsterrasse und der gleichnamigen Kirche, die der bereits erwähnten Kirche San Rocco (1721) gegenübersteht. Die kleine Bruderschaftskirche wurde nach einer Pestepidemie errichtet und ist ein Beispiel des luftigen, leichten Barocks, bei dem sich der Stein der Langa gut mit den roten Ziegeln der Verzierungen paart: eine wunderschöne farbliche Ausgewogenheit.

In den Seitenkapellen von San Leonardo lohnen sich die vielen Kunstwerke des Malers Aliberti, die sinnreiche „Maschine“ des Bonzanigo für die Prozession der Statue der „Madonna del Rosario“ (Rosenkranzmadonna), und vor allem die raffinierte Dekoration der Decke im Spätbarock des Astigiano in höchster Vollendung, ein Werk von Carlo Gorzio.

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Über der Stadt ragt das große, vornehme Schloss Gancia auf (einst gehörte es den Scarampi-Crivelli, heute der Familie Gancia). Es wurde im Lauf der Jahrhunderte umgebaut, zerstört und wiederaufgebaut, von einem befestigten, römischen Posten über ein mittelalterliches Lehen bis zur heutigen Villa. Das in Privatbesitz befindliche Schloss ist nicht zugänglich. Es rühmt sich eines Italienischen Gartens, stimmungsvoller Gässchen, Nebengebäude und hoher Mauern, die man bei besonderen Anlässen bewundern kann. 

Von der Terrasse kann man über die Treppen, die sich zwischen den Grundstücken hindurchschlängeln, wieder nach unten gelangen. Die Treppen münden neben der kleinen Kirche San Giuseppe. An der darunterliegenden Kehre (gir d’la mòla) nimmt man die Via Pietro Micca (die aber alle ij piagg – die Zölle – nennen), eine weitere steile Stiege, die an Häusern und Höfen vorbei und unter einem Gewölbe hindurch (einst war dies das Zolltor) zur Via Rosmini führt. Die Straße geht es weiter bergab und man erreicht kurz darauf die Via Massimo D’Azeglio (genannt‘l gir d’la sparzera), die am historischen Palazzo Anfossi (seit 1919 Sitz des Rathauses) vorbeiführt und auf die Via Roma mündet, gegenüber dem ehemaligen Kinotheater Balbo, von dem nur ein Teil der restaurierten Fassade an einem Gebäude erhalten ist, das heute anderweitig genutzt wird. Von der Via Roma geht man rechts zurück zur Piazza Cavour. 

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Ein eigenes Kapitel verdienen die Cattedrali Sotterranee, die Unterirdischen Kathedralen. Es gibt ihrer vier, davon drei in der Altstadt (Bosca und Contratto an der Via G.B. Giuliani, Coppo in der Via Alba), während Gancia neben dem Bahnhof jenseits der Brücke über den Belbo liegt.

In der Via Giuliani steht auch der schöne, gleichnamige Palazzo, in dem sich die Enoteca Regionale (Regionale Önothek) di Canelli e dell’Astesana befindet, mit dem Fremdenverkehrsamt. Hinten im Hof, in den Räumlichkeiten, die ursprünglich zur Enoteca Regionale gehörten und in denen sich heute ein Restaurant befindet, gibt es eine wunderschöne Wandmalerei von Antonio Catalano, einem begabten Genie des Astigiano.

Die Kathedralen sind labyrinthische Galerien, die ins Innere des Hügels gegraben wurden, um auf natürliche Weise die notwendige Luftfeuchtigkeit und Temperatur zu erhalten, die für die Herstellung des Spumantes notwendig sind. Ein Besuch einer oder aller Kathedralen wird nicht nur zu einer Reise durch die Geschichte des piemontesischen Weinbaus (zwischen Rüttelpulten und Kronkorken), bei der man Experte für Techniken und französische, oft unverständliche Begriffe (millesimé, pas dosé, brut etc. etc.) wird. Vor allem entdeckt man ein anderes Canelli, ganz geheim und versteckt, quasi auf einer Reise durch den Spiegel zum Mittelpunkt der Erde.

„Da bemerkte ich, dass sich alles verändert hatte. Canelli gefiel mir um seiner selbst willen, wie das Tal und die Hügel und die Ufer, die hier mündeten. Es gefiel mir, weil hier alles endete, weil es der letzte Ort war, wo die Jahreszeiten und nicht die Jahre aufeinander folgen.“

Aus La luna e i falò (Der Mond und die Feuer)

Text von Pietro Giovannini

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